Das Drama nimmt seinen Lauf:  [Zum Hauptinhalt springen]

Der Krieg in Afghanistan begann am 7. Oktober 2001, als die USA und ihre Verbündeten, darunter auch die Bundeswehr, mit einer Invasion in das Land einmarschierten, um die Taliban-Regierung zu stürzen. Der Krieg dauerte 20 Jahre und kostete das Leben von tausenden von Soldaten und Zivilisten. Als Journalist ist es meine Pflicht, über diesen Krieg wahrheitsgemäß und ehrlich zu berichten.

New York, World Trade Center, 09.11.2001

Auslöser des Einsatzes

Als ich das erste Mal nach Afghanistan kam, war ich von der Schönheit des Landes fasziniert. Ich war jedoch auch schockiert über die Armut und die Zerstörung, die der Krieg verursacht hatte. Ich begann Interviews mit Soldaten, Politikern und Einheimischen zu führen, um ihre Geschichten zu hören und einen umfassenden Überblick über den Konflikt zu erhalten.

Der Einsatz in Afghanistan liefert ein gutes Beispiel für den Journalistischen Grundsatz. Das erste
Airbus A400M Atlas Großraumtransportflugzeug wurde im Dezember 2014 an die Luftwaffe aus geliefert.1406 Doch selbst nach sieben Jahren Betrieb waren im ersten Halbjahr 2021 – das heißt
kurz vor der Evakuierungsoperation aus Afghanistan – statt der geforderten Sollstärke von 30 Maschinen nur 16 von 46 Airbus A400M Atlas verfügbar,
1407 1408 wobei zu vermuten ist, dass lediglich ein Teil dieser Maschinen tatsächlich „kaltstartfähig einsatzklar“ war. Die Rettungsaktion
aus Afghanistan war – in materieller Hinsicht – also tatsächlich auf Kante genäht, wobei eine
unerwartete Lageverschlechterung1409 nur schwer, wenn überhaupt, zu bewältigen gewesen wäre.


Wenn Schlüsselfähigkeiten, wie zum Beispiel Kampf- beziehungsweise Transporthubschrauber,
fehlen oder strategische Luftverlegbarkeitskapazitäten nicht verfügbar sind, ist der Einsatzwert
der Bundeswehr letztendlich nicht mehr mit dem politischen Auftrag des Deutschen Bundestages in Einklang zu bringen. In einer solchen Situation wird Deutschland bestenfalls zum Bittsteller bei den Alliierten degradiert – im Einzelfall mit unsicherem Ausgang –, schlimmstenfalls
droht jedoch sogar Handlungsunfähigkeit, wobei die militärische Handlungsunfähigkeit die politische und diplomatische in direkter Folge bedingt.

Von Anfang an gescheitert?

Die Soldaten der Bundeswehr waren oft mutig und professionell, aber der Einsatz war auch von Fehlern und Frustration geprägt. Der Krieg war ein komplexer und schwieriger Konflikt, und es gab viele Schwierigkeiten bei der Bekämpfung von Aufständischen und bei der Entwicklung des Landes. Es gab auch Berichte über Fälle von Missbrauch und Fehlverhalten von Soldaten, die ich auch dokumentieren musste.

Als Journalist war es meine Verantwortung, alle Aspekte des Konflikts zu betrachten und ehrlich über meine Beobachtungen zu berichten. Ich wollte nicht nur die Erfolge der Bundeswehr feiern, sondern auch die Herausforderungen und Schwierigkeiten aufzeigen. Meine Berichte wurden oft kontrovers diskutiert, aber ich glaube, dass es wichtig ist, eine offene und kritische Debatte über den Krieg zu führen.

Soldat in Fahrzeug

ARCHIV – 22.08.2011, Afghanistan, Kundus: Ein Soldat der Bundeswehr sitzt auf dem Gelände des Police-Trainings-Camps (PTC) in einem gepanzerten Fahrzeug Dingo. (Zu dpa «Dauereinsatz in Afghanistan? – Gewalt gewinnt die Oberhand») Foto: Maurizio Gambarini/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

In den letzten Wochen habe ich mich auf den Rückzug der Bundeswehr aus Afghanistan konzentriert. Ich habe viele Einheimische getroffen, die besorgt sind, dass der Abzug den Taliban die Kontrolle über das Land zurückgeben wird. Andere hoffen, dass der Friedensprozess eine Chance hat. Als Journalist ist es meine Aufgabe, die Auswirkungen des Abzugs zu beobachten und darüber zu berichten.

Insgesamt glaube ich, dass es wichtig ist, über den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan zu berichten, um eine offene Debatte zu ermöglichen und die Öffentlichkeit zu informieren. Ich hoffe, dass meine Arbeit dazu beitragen wird, die Wahrheit über diesen Konflikt ans Licht zu bringen und dazu beizutragen, dass ähnliche Fehler in der Zukunft vermieden werden.

Erster Akt:

Im Winter 2001 werden die in Kabul regierenden Taliban von den NATO-Truppen im Rahmen
ihres aller ersten Einsatzes nach Artikel 55
des NATO-Vertrages (Bündnisfall)6
zugunsten einer „Erneuerungsregierung“ aus Afghanistan entmachtet. Die US- und NATOTruppen werden von der Bevölkerung, die unter der Taliban-Herrschaft erheblich zu leiden hatte,
bejubelt.

Zweiter Akt:

Bis 2004 organisieren sich die Taliban neu. Zwischen 2006 und 2009 gerät die Lage zunehmend
außer Kontrolle.7
Die Sicherheitslage wird immer prekärer, die Lebensumstände der Menschen
verschlechtern sich in vielerlei Hinsicht wieder. Glauben und Vertrauen in einen Staat, der nicht
in der Lage ist, für die Grundbedürfnisse seiner Bürger zu sorgen, schwinden zusehends.

Dritter Akt:

Anfang 2010 entscheiden sich die NATO-Staaten in London für die Beendigung der
Kampfhandlungen und einen geordneten Rückzug bis 2014. Es wird eine „Dekade der
Transformation“ verkündet. Die Afghanische Regierung soll unterstützt und ermächtigt werden,
für die Zukunft des Landes volle Verantwortung zu übernehmen. Die USA sichern eine konsequente finanzielle und militärische Hilfe bis 2024 zu. Auch die Bundesregierung verspricht
Unterstützung. Doch spätestens 2010 ist Afghanistan de facto bereits ein gescheiterter Staat.

Die Regierung hat keinerlei Legitimität durch Wahlen und kontrolliert nur noch immer kleiner
werdende Teile des Landes. Die Taliban gewinnen die Überhand. Korruption, Drogenökonomie
und Milizenwillkür breiten sich aus und höhlen die verbliebene Legitimität des afghanischen
Staates weiter aus. Die Weltgemeinschaft verbreitet zehn Jahre lang – von 2011 bis 2021 –
Durchhalteparolen und gaukelt eine Verbesserung der Lage vor, die es nicht gibt.

Vierter Akt:
Im Sommer 2021, nach zwanzig Jahren des Aufbaus des Landes und seiner
Institutionen – allen voran seiner Sicherheitskräfte – einerseits und des nicht kontrollierbaren,
nicht enden wollenden, schleichenden Krieges andererseits, kehren die Taliban stärker denn je an
die Macht zurück und verkünden die Neugründung des Emirates.
Epilog:
Die NATO erlebt in Kabul ein besorgniserregendes „Saigon-Erlebnis“, wie viele
Medien den ungeordneten Rückzug aus Afghanistan als Anspielung auf den US-Rückzug aus
Vietnam beschreiben.

Rückblick und Ausblick:
Der zahlen- und faktenbasierte Rückblick dieser Arbeit auf die Entwicklung der Lage von 2001 bis
2021 liefert differenzierte Erkenntnisse und Antworten: Nicht nur die Koalition hat Fehler
gemacht. Allen voran haben die korrupten, selbsternannten, allerdings auch vom Westen
unterstützten, „Eliten“ des Landes Afghanistan in die missliche Lage geführt, in dem das Land sich
jetzt befindet, – trotz aller Hilfe; denn kein Land der Welt wurde in den letzten zwanzig Jahren
soviel und so kraftvoll von der Weltgemeinschaft unterstützt: 85 Staaten haben sich an dem
Einsatz beteiligt, 50 davon haben einen militärischen Beitrag geleistet, 15 internationale
Organisationen sowie insgesamt 1.700 Nichtregierungsorganisationen haben den Wiederaufbau unterstützt.

Ungeachtet der umfangreichen Aufarbeitung, die diese Missstände in entwicklungs- und
sicherheitspolitischer Hinsicht bedürfen, können die erzielten Fortschritte nach zwanzig Jahren
des Einsatzes schon jetzt anhand dieser Chronologie bestenfalls als marginal und augenscheinlich
nicht von Dauer bewertet werden.